Bis zum nächsten Jahr 2018 in Liegnitz/Legnica!
Keller-Fund
Ich bin 1977 in Legnica, das bis 1945 Liegnitz hieß, geboren und aufgewachsen. Und obwohl ich schon seit 13 Jahren in Berlin lebe, ist und bleibt Legnica meine Heimatstadt, in der meine Eltern und Verwandte leben und in die ich immer wieder gerne zurückkehre. Meine Kindheit und frühe Jugend könnte man als normal und durchschnittlich bezeichnen, wäre da nicht die Tatsache, dass an meiner polnischen Heimatstadt immer ein schwer in Worte zu fassendes Geheimnis haftete. Es hatte etwas mit der deutschen Geschichte der Stadt zu tun. Dieses Geheimnis spürte ich, wenn ich mir manche alte Fassaden anschaute, unterdenen Namen von deutschen Läden durchschimmerten oder dann, wenn ich manche Gegenstände in die Hand nahm, die aus der Vorkriegszeit stammten. Und nicht zuletzt bei Spaziergängen auf Friedhöfen, mit ihren deutschen und jüdischen Grabsteinen.
Im Keller meiner Großeltern, die Anfang der 50er Jahren nach Legnica kamen, fand ich zum Beispiel einen alten weißen Aschenbecher mit grüner Aufschrift. Auf dem Rand des Aschenbechers stand: „Lampen und Beleuchtungskörper, Liegnitz, Goldberger Strasse“. Dieser Gegenstad faszinierte mich: er war anders, er war fremd, er war „von früher“ und dazu noch mit Buchstaben in einer mir damals fremden Sprache versehen! Mein Opa, der wie meine ganze Familie Pole war, aber etwas Deutsch verstand, erklärte mir, die Goldbergerstrasse sei die heutige Ulica Zlotoryjska gewesen und der Aschenbecher würde von den Deutschen stammen, die hier früher gelebt hätten. Er sagte mir auch, Liegnitz sei der deutsche Name von Legnica. Wie, meine Stadt hat nicht nur einen Namen?, wunderte ich mich damals.Das war mir neu. Erst durch diesen unscheinbaren Kellerfund und die knappe Erklärung meines Opas begann ich langsam die komplizierte Geschichte meiner Stadtzu verstehen.
Das große Schweigen
Denn öffentlich wurde über die deutsche Vergangenheit von Legnica bis zu der Wende 1989 kaum gesprochen. In der Schule war es nach dem Gebot der damaligen Politik unerwünschtund zu Hause gab es andere Themen, die wichtiger waren. Meine Eltern und Großeltern mussten ihren Alltag meistern, der in der Volksrepublik Polen nicht immer einfach war, vor allem wegen der Mangelwirtschaft. Hinzukam, dass meine Familie väterlicherseits nach dem Krieg Schweres durchmachen musste. Meine Grossmutter musste mit meinem damals zweijährigen Vater aus ihrer Heimat im Lemberger Bezirk (bis 1945 polnisch, nach 1945 sowjetisch, jetzt ukrainisch) fliehen. Sie wurden aus ihrer Heimat vertrieben und fanden ihr neues Zuhause zuerst bei Breslau/Wrocław und schliesslich in Liegnitz/Legnica. Meine Oma sprach nicht gerne über die eigene Vertreibung. Wahrscheinlich wurde bei uns aus dem gleichen Grund nicht viel über die Vertreibung der Deutschen gesprochen. Das alles gehörte der Vergangenheit an.
Aus all diesen Gründen erschlosssich mir die Geschichte meiner Stadt nicht über Erzählungen der Älteren, sondern vielmehr durch den Kontakt mit den Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs. Die Gegenstände, die von den ehemaligen, deutschenBewohnern der Häuser hinterlassen worden waren, und die nun in unseren Häusern ihr Dasein fristeten, bargen Geheimnisse aus früheren Zeiten.
Liegnitz.pl – aus Liebe zur Stadt
Eine ähnliche Faszination für Geschichte, gepaart mit ihrer Liebe zur eigenen Stadt, motivierten meine Freunde Zbigniew Brzeziński und Marcin Makuch zur Gründung der historischen Stiftung Liegnitz.pl. Für den Vorstand der Stiftung konnten sie Herrn Hans-Dieter Eckert gewinnen.
Objekte in der Sammlung der historischen Stiftung Liegnitz.pl sind vor allem Fundstücke von Zbigniew und Marcin. Sie wurden auf Mülldeponien, bei Wohnungsauflösungen oder auf Baustellen gefunden, wo die Erde plötzlich unerwartete Schätze preisgab.Nicht selten haben die Sammler aus Liegnitz/Legnica Internetauktionen,wie z.B. Ebay,durchstöbert und Erinnerungsstücke aus Liegnitz gekauft: mal eine Grafik, mal ein Schild eines bis 1945 funktionierenden Liegnitzer Unternehmens, mal eine Postkarte aus Liegnitz. Einige dieser Objekte waren Geschenke, wie eine große Wäschemangel, diebis vor Kurzem in einem Haus in Hildesheim stand und nun der Stiftung übergeben wurde. Diese Objekte, die meistens keinen großen musealen Wert haben, sind für die Sammler aus Legnica/Liegnitz von großer Bedeutung, denn sie füllen eine Lücke in der Geschichtsschreibung ihrer Stadt. Marcin und Zbigniew haben verstanden, dass die scheinbar stummen Gegenstände manchmal viel mehr über die Geschichte erzählen können, als umfangreiche Bücher.
Das Erntedankfest der Bundesgruppe Liegnitz 30.9. - 01.10.2017
Am 30.09. und 1.10.2017 fand in Legnica/Liegnitz das alljährliche Erntedankfest der Bundesgruppe Liegnitz statt, bei schönstem Wetter und in bester Stimmung. Es war mir eine große Freude, an dem Fest teilzunehmen und mit einigen von Ihnen, liebe Liegnitzer, persönlich sprechen zu können. Am 30.09. schaute ich mir einen Teil der Sammlung der historischen Stiftung Liegnitz.pl in ihrem neuen Sitz in der ehemaligen Petrischule an, und am Nachmittag besuchte ich mit Ihnen das Dorf Rüstern/Rzeszotary, wo die Kirchenglocken für Sie geläutet wurden und ein toller Empfang mit Musik stattfand, den die Gemeinde vorbereitet hatte. Sehr bewegend fand ich den Moment, als Pfarrer Stanisław an der Schwelle des Gotteshausesin Rüstern alle Anwesenden mit den Worten begrüßte „Seien Sie in unserem gemeinsamen Haus herzlich willkommen“ und seinen Dank an diejenigen aussprach, die die Kirche einst gebaut hatten. Und als einige Liegnitzerinnen am Abend des zweiten Tages die schlesische Mundart zum Besten gaben, musste ich unwillkürlich an den Lemberger Dialekt denken. Denn der Lemberger Dialekt ist auch eine Sprache, die jetzt nur Wenige sprechen, ähnlich wie Schlesisch. Schade nur, dass ich leider nicht viel verstanden habe… vielleicht verstehe ich nächstes Jahr schon etwas mehr?
Allen, die dabei waren, möchte ich ganz herzlich danken: Herrn Eckert, Herrn Rudolph, Herrn Winkler, Frau und Herrn Hainlein mit seinem unentbehrlichen Notizheft, in dem er die Kirchen in Rüstern und in Liegnitz skizzierte, Frau und Herrn Bräunlein, Frau Hönigschmid und Herrn Scholz. Meinen Freunden von der historischen Stiftung liegnitz.pl wünsche ich, dass ihre Sammlung wächst und gedeiht, und immer mehr Räume in dem neuen, schönen Haus der ehemaligen Petrischule füllt. Bis zum nächsten Jahr in unserer gemeinsamen Stadt Liegnitz/Legnica!
Karolina Kuszyk,
Autorin und Übersetzerin